Der Vorgänger.

Vier.

Ich gestehe, Bosco ist nicht mein erster Hund. Es gab einen Vorgänger. Bosco weiß das aber nicht.

Kaum zu glauben, der Vorgänger war kein Schäferhund. Und das, obwohl ich immer schon mit Schäferhunden aufwuchs. Ich hatte einen Ausrutscher mit einem Golden Retriever. Aber meine Familie ist tolerant und akzeptierte dieses Schlappohr. Nichts anderes konnte ich erwarten. Gab es doch schon einen anderen Ausrutscher. Dieser hieß Moritz, ebenfalls ein Schlappohr, der erste Hund meiner Eltern und er war nicht größer als eine Katze.

Jedenfalls war ich jung und wollte immer schon einen Hund. Ich ergriff die Chance.

Und: Ich bereue nichts.

Chicco, so hieß der Lausbub, war ein toller Hund - abgesehen von ein, zwei kleineren Schwächen, wie einem kontinuierlichen Speichelfluss inklusive Schüttel-bedingten Speichelduschen, unangenehmen Körpergeruch bei Vollkontakt mit Wasser und einer, im Vergleich zu Bosco, etwas geringer ausgeprägten Intelligenz. Ich gebe zu, so ein Intelligenz-Defizit hat auch durchaus Vorteile. Schlaue Hunde sind im Alltag nicht immer unkompliziert und einfach. Wobei, wie jeder selbst aus den vorherigen Geschichten ableiten kann, ist Bosco aber auch kein Einstein.

So ein dicker Hund.
Es war einer dieser schönen, sonnigen Frühlingstage Ende der 1990er. Das Jahr 1999 um genau zu sein. Ich hatte noch keinen Führerschein, brauchte einen Chauffeur. So ging es mit den Eltern nach Braunau. Genau, nach Braunau. Ein dunkelblonder Hund aus Braunau. Nobody is perfect.

Da war er also. Er, diese dicke, kleine unförmige Hunde-Wurst. Tatsächlich war er der Dickste aus dem Wurf. Ein Blader. Eine Fressmaschine. Ein Staubsauger. Dauerhungrig. Nicht bereit sein Futter zu teilen. Wie ich. Also genau mein Fall. Nur sein Name war gar nicht mein Fall. Die Züchter nannten ihn Archibald. Richtig gelesen. Wie kann man einen Hund Archibald nennen? Ich würde nichtmal einen Menschen Archibald nennen.

In Gedanken spielte ich kurz ein paar Befehle durch: "Archibald, du Trottel, komm sofort hier her! Archibald, fass! Na wo is er denn, der Archibald? Hol den Stock, Archibald!" Nein, das klang alles komisch. Die Lösung? Ein anderer Name musste her. Und wenn mein erster Hund schon kein Schäferhund werden sollte, dann musste er zumindest so heißen. Wie der Schäferhund, mit dem ich aufwuchs - Chicco. Auch ein toller Hund.

Zwei Wochen später wurde Chicco abgeholt.

Die erste Fahrt im Auto war entspannt. Chicco hat entspannt gekotzt. Ich war ihm nicht böse. Andere, speziell der Besitzer des Autos, genannt Ali, wahrscheinlich schon.

Zuhause wurde Chicco skeptisch von Moritz, den Katzen und den anderen Zoobewohnern begrüßt, inspiziert und schließlich für ok befunden. Sie hatten aber auch keine andere Wahl. Selbstverständlich standen auch meine Schwestern Spalier und nahmen den neuen Mitbewohner in ihrer eigenen Teenie-Sprache in Empfang: "Ja mei, bist du ein süßer Wauzi! Na komm her zu mir. Lass dich knuddeln. Na wo is er denn? Ich will ihn streicheln. Nein, ich will ihn zuerst streicheln!"

Alle Katzen und Nager waren kurzfristig eifersüchtig.

Chicco war also endlich zu Hause angekommen. Nun konnten die Abenteuer beginnen. Und es gab dutzende Abenteuer. An zwei davon erinnere ich mich gerne mit einem kleinen Schmunzeln zurück.

# Chicco und die Sachertorte.

Jemand aus der Familie hatte Geburtstag. Und wer war das Geburtstagskind? Das weiß ich gar nicht mehr. Egal. Jedenfalls gab es eine Sachertorte. So wie immer. Chicco war zwar noch nicht lange in seinem neuen Zuhause eingezogen, er konnte aber schon artig den Vormittag alleine zu Hause bleiben. Meistens. Abgesehen von ein paar Kollateralschäden - ein kleines Pfützchen da, eine kaputte Pflanze dort - funktionierte "Chicco allein zu Hause" gut. Was an jenem Vormittag aber keiner bedacht hatte: Chicco war noch immer im Wachstum. Im ausgestreckten Zustand konnte jetzt auch die Küchenzeile vollumfänglich begutachtet werden. Dieser neue Reichweiten-Vorteil wurde nun eiskalt ausgenutzt.

Wie jeden Tag kam ich gegen Mittag nach der Schule nach Hause. In freudiger Erwartung einer überschwänglichen Chicco-Begrüßung. Ich wurde nicht enttäuscht. Die Begrüßung fiel wieder sehr überschwänglich aus. Aber meinetwegen? Zum Teil bestimmt. Aber nicht ausschließlich. An Chiccos Schnauze konnte ich nämlich sehr schnell erkennen, dass diese, heutige Freude durch viel Schokolade und Zucker gedopt wurde.

Schokolade und Zucker einer halben Sachertorte, die nun nicht mehr auf der Küche stand, sondern sich in Chiccos Magen befand. Chicco hatte sich also seinen Vormittag versüßt. Die Küche war ein Schlachtfeld. Denn: Sachertorte lässt sich nicht nur gut fressen. In Sachertorte lässt es sich auch vorzüglich buddeln und wälzen. Und: Sachertorte verleiht ungeahnte Energien. Zudem regt ausreichend Sachertorte die Verdauung an. Jedenfalls bei jungen Hunden.

Chicco hatte somit auch einen tollen Nachmittag. Ich musste die Küche putzen.

# Chicco und das halbe Hendl.

Chicco war schon ein, zwei Jahre älter. Die Sachertorte-Schlacht fast vergessen. Der Hund bereits besser erzogen. Ich kam mal wieder von der Schule nach Hause. Mama wollte uns Kinder an diesem Tag nicht bekochen und brachte zu Mittag halbe Brat-Hendl mit. Ich war ihr für diese Entscheidung definitiv nicht böse. Denn diese Brat-Hendln schmeckten immer äußerst lecker. Ein geflügeltes Gedicht. Natürlich genehmigte ich mir mein Hendl sitzend im Bett. Ein Hendl im Bett und zudem vor laufendem Fernseher mit Nachmittagsprogramm. So schmeckt das Hendl.

Chicco beobachtete das Geschehen selbstverständlich sehr aufmerksam. Bemerkbar daran, dass sich neben ihm nun langsam eine Lacke aus Sabber bildete und der Blickkontakt starr in Richtung Hendl nicht abreißen wollte. Der Vogel war bereits zur Hälfte verspeist, da wurde ich plötzlich von Muttern telefonisch zu ihr zitiert. Das noch nicht zur Gänze verspeiste Hendl wurde kurzerhand auf dem Nachtkastl neben dem Bett zwischengeparkt.

Bevor ich aber das Zimmer verließ, gab's vorab für Chicco noch ein paar warnende Worte: "Lass das Hendl in Ruh, sonst kommt die Kastration!" Diese Drohung verstand er.

Ich machte mich also auf den Weg und bezwang die zwei Stockwerke runter in die Wohnung der Eltern. Zwar weiß ich nicht mehr warum ich nach unten zitiert wurde. Aber bestimmt hatte Mama einen guten Grund. Es dauerte nicht lange und nach ca. fünf Minuten wurde ich entlassen. Ich konnte wieder hoch in mein Zimmer gehen. "So, jetzt schnell das Hendl aufessen und dann in den wohlverdienten Mittagsschlaf entschlummern", waren wohl in diesem Moment meine Gedanken.

Mit müden Augen und knurrendem Bauch machte ich die Tür auf und betrat mein Zimmer. Und da lag er. Auf meinem Bett. Mit sattem Bauch und mit den Resten meines Hendls vor ihm liegend. Ja, auf meinem Bett. Eine mit Fett verschmierte Schnauze blickte mit nun ebenfalls müden Augen zu mir. Ich schaute hungrig, aber wieder hellwach und gereizt zurück. In diesem Moment erinnerte Chicco sich an meine Drohung mit der Kastration. Er verließ mit einem Hauch von schlechtem Gewissen freiwillig das Bett, mein Zimmer, meine Gesellschaft.

Ich hatte noch immer Hunger. Mein Bett musste frisch überzogen werden. Und am Schlimmsten: Mein Mittagsschläfchen fiel aus. Hungrig schläft es sich einfach nicht so gut.

Chicco hatte bis auf weiteres Zimmerverbot. Jedenfalls wenn es Hendl gab.

Es lässt sich nicht verbergen. Fressen war Chicco's Leidenschaft. Er war weniger ein Gourmet, mehr ein Verschlinger. Kurzum: Einfach ein waschechter Golden Retriever.

Moritz, Chicco und das rosa Pony.

Chicco, schau mal schlau.
Leider wurde Chicco nicht alt. Nach kurzen sieben Jahren gingen unsere Abenteuer abrupt zu Ende. Der Krebs, dieser miese Spielverderber. Aber die Geschichten bleiben.

Seit fünf Jahren gehen die Abenteuer wieder weiter. Mit Bosco.

To be continued.








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